Insel Unije (Kroatien) im September 2011

Leise Lautmalerei - eine Skizze



Am Strand
Am Strand

Graue, weisse, pastellfarbene Würfel, von leuchtendroten Dreiecken gekrönt; schwarze, dunkelgrüne und braune Augen in den schmucklosen Fassaden.

Ein feuerwehrrotes Segelboot über glasklarem, türkisblauem, von der leichten Brise sanft griffeltem Salzwasser.

Leise sich aus dem Meer erhebende Hügel - sattgrün mit saftgrünen Tupfen darin.

Blassblauer, wolkenloser Himmel darüber.

Es riecht nach Maggikraut, feuchten Meergrasschnipseln und Fisch.

Schmatzendes Wellenlecken auf blendendweissen Kieselsteinen; Schilf rauscht, Hähne krähen.

Summen von Fliegen, Schreien von Möwen.

Weit entfernte Stimmen. Slowenische, österreichische, englische und italienische Wortfetzen vom Wind vorbei getragen.

Irgendwo klingelt, stört ein Handy - die Lieben zuhause wollen teilhaben am Idyll.

Die Dubrovka aus Losinj, fast die einzige Verbindung zur motorisierten Aussenwelt ist am Horizont verschwunden.

Der venezianische Kirchturm zeigt keine Zeit an, sie scheint still zu stehen.

Weisse Dreiecke gleiten lautlos über die dunkelblaue Ebene der Adriatischen See.

Nur wenige Frühaufsteher verlieren sich auf der langgezogenen Strandsichel.

Nackt neben aus Schilfrohr zusammen gefügten Strandhütten.

Ein Gefühl von Freiheit schaut vorsichtig zwischen den Palmen hervor.

Noch scheint es zu lauern, zu zögern, sich ebenfalls an den Strand zu setzen.

Nackt ist man eben doch verletzlich.

Ein paar Schwimmzüge im kristallklaren, gerade noch erfrischend kühlen Wasser - bevor die Sonne es zur Brühe aufheizen kann!

Drohend schöne, tiefschwarze Flecken zwischen grünen Steinen, stachelbewehrt.

Blassgelbe Strandgutgerippe.

Zwei rotbraune Leuchttürme, die in sich zusammen fallen werden, sobald sie wieder trocken sind.

Sinnlichkeit macht sich bemerkbar, die Schwester der Freiheit: ebenso scheu, unterdrückt und immer wieder herbei gesehnt.

Weit entferntes und doch klar vernehmbares Geschepper von Kaffetassen und Kuchentellern; vom plötzlichen, überfallartig einsetzenden Läuten der Kirchenglocken zum Schweigen gebracht.

Wo sind die Fischerboote? Die Fischer? Die Fische?

Abgewrackt am Strand, betrunken vor dem kleinen Laden im Dorf, gegessen.

Nachdenklichkeit oder gar Schwermut passen so gar nicht hierher - und trotzdem lauern auch sie. Verborgen unter der sanften Dünung warten sie auf den richtigen, (un)passenden Moment.

Bis dahin leisten sie den Seeigeln Gesellschaft.

Nur nicht zu tief eintauchen, schön an der Oberfläche bleiben!

Weisses Flachgestein über den Wasser - Spiegel springen, tanzen lassen: 3, 4, 6, heh!, 10 mal!!!

"Pass' auf, dass Du das Boot dort draussen nicht versenkst!"

"Ist doch kein Fischerboot, nur eine österreichische Jacht."

"Ach so, naja dann..."

Ein Motorboot tuckert langsam in den kleinen Naturhafen.

Kann das wirklich sein?

Am Bug stehen ein Mann und eine Frau - Badehose und Bikini, weisse Seemannskäppis auf den Köpfen. Wind- und sonnengegerbte Haut schlafft in den Gesichtern und spannt über den Wohlstandsbäuchen.

Sie haben es also geschafft!

Kate und Leonardo haben es zum eigenen Schiff gebracht!

Die Sonne heizt, brennt nun in meinem Rücken.

Aber ich muss noch eine Weile durchhalten - wenn schon nicht Bräune, so doch wenigstens ein bisschen Röte mit nach Hause bringen!

Gerade laufen die nimmermüden Nachteulen aus dem Nachbarhaus den Strand hinauf; Kühltaschen in den Händen, Alkoholfahnen vor sich her tragend und Sonnencremefahnen hinter sich her ziehend.

Das Wasser ist herrlich weich. Kosend.

Stellenweise liebkosend gar.

Das schmatzende Geräusch von Wellen auf feuchten Kieseln stößt die Phantasie an.

Klebrige Feuchtigkeit, Salz auf Haut, wallende Wellen, Hitze, Entspannung.

Kate und Leonardo verlassen die Bucht.

120 Kilogramm mit roten Schwimmflossen an den Füßen und einer hellblauen Gummibadekappe auf dem Kopf pflatschen vorbei.

Die Wallung ist vorüber, das Blut wieder da, wo es hingehört: Im Kopf.

Ob es den anderen Leuten hier am Strand wohl ähnlich ergeht?

Was träumen sie, wenn sie sich dösend vom Feta-Käse zum Grillhähnchen verwandeln? Wohin wandern ihre sonnenbrillengeschützten Blicke, ihre hinter scheinbarem Desinteresse verborgenen Gedanken?

Gut, dass wir nicht alles wissen - obwohl: Wäre manchmal schon interessant...!

Ein Hund bellt im Wasser.

Bunte Plastikfetzen treiben an Land.

Eine Frischkäsedose, kieloben.

Willige Wellen werfen Wohlstandsmüll an den Strand.

Strahlend weisse Segeljachten am Horizont schweben vorüber; leicht, erleichtert.

Die aus Röhricht errichteten Strandlauben füllen sich langsam.

Ebenso die Strandbar.

Die einzigen Schatten spendenden Plätze an einem weiteren, namenlosen Tag auf dieser Insel.

Unije 206.

Das ist eine Adresse.

Es gibt also mindestens 206 Häuser hier; die Kirche nicht mitgerechnet, deren Turm eine zeigerlose Sonnenuhr ziert.

Schatten sind zeitlos hier.

Aber die Zeit hinterlässt ihre Spuren trotzdem.

Das bunt zusammen gewürfelte Geschirr in Unije 206 hat jedenfalls auch schon andere, bessere (?) Zeiten gesehen.

Und dass die Zeit nicht stehen bleibt - auch hier nicht - merkt man spätestens dann, wenn man sich ins Bett legt.

Früher waren die Menschen einfach kleiner.

Kühe schauen am Strand vorbei, knabbern ein bisschen an der Schilfbehausung und trotten dann wieder ins Hinterland. Kein Zaun schränkt ihre Bewegungsfreiheit ein; ihr Mist düngt keine Felder, sondern landet auf dem Trampelpfad am Ufer.

Freiheit!

Die Gedanken wandern zurück in die Kindheit.

Damals war eine Insel etwas Aufregendes, Geheimnisvolles.

Piraten vergruben dort ihre Schätze und Meuterer wurden auf ihr ausgesetzt.

Schiffbrüchige bauten darauf aus den trümmern der Wracks Baumhäuser.

Robinson Crusoe hat damals auch meine Phantasie beflügelt, Bewunderung und Sehnsucht hervorgerufen.

Irgendwann wurde daraus so etwas wie Neid.

Und als die Phantasie begann, Phantasien zu gebären, wurde Freitag zur Frau.

Silbrig glitzernde Winzlinge umschwirren die leere Fischkonservendose.

"Langsam, Leute! Da müsst Ihr erst noch etwas wachsen!"

Fliehende Mähnen rasen zwischen den Rasenmähern auf dem kleinen Flugfeld umher.

220 Landungen auf holpriger Graspiste pro Jahr; die Starts erfolgen aufs Meer hinaus.

Manch einer kommt irgendwann zurück - um wieder zu gehen.

Kaum einer bleibt.

Ausser den 3 Pferden.

Ablandiger Wind heute - die Burja.

Der Strand ist fast leer, ein paar übrig gebliebene Touristen und eine kleine Anzahl Einheimischer verliert sich darauf.

Eine alte Frau sitzt im flachen Wasser und rasiert sich Achseln und Beine.

Eine andere, noch ältere Frau spricht laut mit den sie umgebenden Möwen.

Die Strandpromenade ist ausgestorben, das Restaurant noch verrammelt; lediglich eine Jacht liegt in der Bucht vor Anker.

Es ist kurz vor 12 Uhr mittags, Donnerstag, der 15. September.

Anfang des Winterhalbjahres, egal ob es noch immer fast 30° C warm ist.

Man befolgt Regeln hier - ist bereit für die Aufnahme in die EU.

Als ich vor 30 Jahren Soldat war, war ab dem 15. April Sommer befohlen.

Aufgekrempelte Ärmel (4 x umgeschlagen!), egal wie kalt oder warm es war. Der Sommer endete damals allerdings erst Mitte Oktober.

Der Oleander ist fast verblüht, ebenso die Bougainvilleen, deren trockengelbe Blüten die violette Pracht fast aufgefressen haben.

Fächerpalmen tragen schwere, stinkende Fruchtkränze - orangen bis dunkelrote Minitomaten.

Eine Katze springt aufs Plastikstuhlposter und fänft an, sich zu putzen.

Zwei alte Männer spielen Karten, trinken Bier.

Wortlos.

Ein Tourist sammelt winzige Muscheln und weisse, flache Kiesel.

Herzförmige Steine, steinerne Herzen, mit Füssen getreten.

Auf der anderen Seite der Insel, jenseits der verfallenen Fischfabrik und der dunklen Lorbeerwälder sind die Steine rund.

Viele haben Löcher.

Über dem hoch aufragenden Kliff thronen Überreste.

Nicht von Tempeln.

Von Bunkern.

Das sind die einzigen archäologischen Funde auf Unije.

In der klimatisierten Bücherei ist es kalt.

Kroatische Bücher in Regalen aufgereiht.

Deutsch- englisch- und italienischsprachige in einer Ecke aufgetürmt.

Ein Computer ermöglicht Kontakt zur Aussenwelt.

Zur Welt.

Polizei und Post sind im selben Gebäude untergebracht.

Ob die Beamten freiwillig hier Dienst tun - oder strafversetzt sind?

Mehr zu tun hat wohl die Lehrerin.

In der Inselschule werden 7 Kinder unterschiedlichen Alters in gemeinsamem Unterricht auf die Zukunft vorbereitet.

Wo liegt sie wohl?

Vielleicht in Amerika.

So wie die Vergangenheit des alten Mannes, der seine letzen Jahre auf "seiner" Insel verbringt.

Es gibt einen Friedhof hier.

Mit frischen Gräbern...

Eine kleine Privatmaschine schwebt ein, landet holpernd, rollt knatternd aus.

Wo heute das Flugfeld ist, waren vorher viele kleine Gärten.

Davor das Getreidefeld einer Kolchose.

Davor viele kleine Gärten.

Was kommt als Nächstes?

Wahrscheinlich wieder viele kleine Gärten.

Der Nachbar verkauft uns 1 Kilo Tomaten für 20 Kuna.

Rund 3 € für ein paar Tomaten sind viel Geld.

Aber das Süßwasser ist rar hier, wird vom Wasserschiff gebracht und dann in Zisternen aufbewahrt.

Die Füchte schmecken noch süßer Sonne - Holland ist weit.

3 € sind preiswert.

Coco und Lili, zwei österreichische Cockerspanielschwestern, die eine coupiert, die andere unversehrt, jagen einer kroatischen Katze hinterher.

Noch einmal raus nach Tunis, den Sandstrand weit draussen am Anfang der Bucht.

Einen Zigarillo.

Später dann, bei Sonnenuntergang, ein Eis auf einer Bank im Hafen.

Ich komme wieder!