Tagebucheinträge
12. Januar 2006
Wenn man den Moment, in welchem man beginnt sich mit einer Reise auseinander zu setzen - mental - auch als den eigentlichen Beginn der Reise begreift, dann bin ich schon seit Jahren unterwegs!
Immer und immer wieder im Kreis herum gelaufen, habe ich mir nun "Karte und Kompass" und gleich dazu noch dieses "Logbuch" gekauft, um den Weg auf den Weg zu finden; und um festzuhalten, was mich an Gedanken und Menschen auf diesem Weg begleitet.
Ich habe mir zum Ziel gesetzt, im September diesen Jahres von Südfrankreich aus den Jakobsweg - den Camino francés - zu gehen.
Verbunden mit diesem Entschluss ist ein Hochgefühl, eine erwartungsvolle Spannung. Aber auch Angst.
Angst vor dem Neuen, dem Unbekannten, dem eventuellen Versagen, dem Scheitern.
Hochgefühl und Ängste verfolgen mich bis in meine Träume, und besonders der Gedanke, **** für 3 Wochen allein hier in Haslach zu lassen, bereitet mir noch großes Unbehagen.
Nunja, es sind ja noch etliche Monate hin bis September; wer weiss, was sich noch alles tut bis dahin?!
13. Januar 2006
Wieder habe ich eine wenig erholsame Nacht hinter mir - mit zerrissenem Schlaf, einem von aufdringlichen Gedanken erfüllten Kopf.
Die gedankliche Vorbereitung der Reise, all die Unwägbarkeiten machen mir doch ganz schön zu schaffen!
Von Vorfreude oder gar Euphorie ist rein gar nichts zu spüren; eher empfinde ich die Zeit als Qual, die ich mich mit dem Weg in Gedanken beschäftige.
Paulo Coelho's "Auf dem Jakobsweg" muss ich zur Seite legen; die Geschichte kommt mir nun doch etwas zu abgedreht vor.
Auf Seite 103 - nach allerlei Dämonen und sonstigem Gedöns - ist mir das Buch zu entrückt. Es steht meiner Rückkehr zu einem ruhigen Schlaf mehr im Wege, als dass es Inspiration darstellt.
Der Camino ist wie ein Tropfen Öl in einem Glas voll Wasser!
12. Juli 2006
Gestern hat mir Karl B. das Buch von Hape Kerkeling gegeben, das von dessen Caminoeindrücken handelt.
En una palabra: Toll!
Ich muss mich zwingen, es aus der Hand zu legen, so fesselnd ist es.
Und es bewirkt, dass ich immer ungeduldiger den Beginn meiner eigenen Reise ersehne.
ICH WILL HIER RAUS!!! AHORA!!!
So vieles, was mir auf die Nerven geht:
- undankbare Mitmenschen,
- alltägliche Hektik,
- Berufsstress,
- eigene Ungeduld...
Der Wunsch, ganz einfach und vor allem ganz schnell abzuhauen, wird groß und größer!
Ich möchte meine Ruhe, möchte meinen eigenen Rhythmus leben, möchte vorwärts gehen und nicht wie ein Hamster im Laufrad schneller und schneller auf der Stelle treten. - Und mir dabei auch noch zuschauen und mich antreiben lassen zu müssen!
NO QUIERO MAS!
21. August 2006
"Wenn man einen falschen Weg einschlägt, verirrt man sich umso mehr, je schneller man geht." (Denis Diderot)
Ich fühle ganz tief in mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
Ich zweifle nicht mit der kleinsten Faser daran, dass ich diesen Weg gehen muss, und dass er mir helfen wird, wieder Entscheidungen zu treffen, die wichtig sind für mein weiteres Leben.
TODO SE CUMPLE!
27. August 2006
Es sind keine 3 Wochen mehr, bis ich nach St. Jean aufbrechen werde.
Und in zwei Tagen, am Dienstag, bekomme ich von Kaplan F. den Pilgersegen.
Das Warten fällt zunehmend schwerer, die Zeit zieht sich - wie Gummi, so zäh.
Wenn ich davon erzähle, dass ich den Weg in Angriff nehmen werde, dann erhalte ich als Antwort oft ein "Oh, toll!" oder "Oh, das könnte ich nicht!"
Warum ich es tun will, danach hat mich noch niemand gefragt.
Aber warum mache ich den Camino denn überhaupt?
Nun: - ich möchte aus Hektik und Eile ausbrechen,
- ich möchte Weite und innere Leere spüren,
- ich möchte meine eigene Mitte kennenlernen,
- ich möchte mit dem "Göttlichen" in Kontakt treten,
- ich möchte meine Grenzen kennenlernen.
Bescheidenheit, Demut, Menschlichkeit, Gelassenheit, Ruhe, Großzügigkeit, Ausgeglichenheit sind Begriffe und Werte, welche ich gerne spüren, erleben und erfahren möchte.
Ich erhoffe mir, diese Werte zu erlangen und sie in die "normale" Welt nach dem Camino hinüberretten zu können.
Ich erhoffe mir, ich wünsche mir, ich bitte um einen Fingerzeig, wie ich mein Leben mit Sinn erfüllen kann, welcher jenseits von Konsum, Erwartungen und äusserem Druck liegt!