allein auf weiter Flur



Ich möchte nicht mit Streckenbeschreibungen langweilen.

Vielmehr möchte ich auf die Dinge etwas genauer eingehen, die mir entlang des Weges aufgefallen sind.

Ich möchte von den wenigen Begegnungen mit Menschen erzählen, von den Gefühlen, die mich bewegten; von der Hilfbereitschaft der Einheimischen, ihrer vorbehaltlosen Bereitschaft, dem Fremden zu helfen.


José und Maria aus Casillas
José und Maria aus Casillas

Toledo - Zamora: Das sind nicht ganz 350 Kilometer Fußmarsch, auf welchen man die eine oder andere Begegnung mit anderen Pilgern erwarten sollte.

 

Ist nicht so!

 

Zumindest in der Zeit als ich dort unterwegs war (Mitte/Ende September),

war ich so gut wie immer allein. Und vor allem war ich der einzige Nichtspanier.

 


Hilfsbereitschaft

Den ersten "Beweis" der spanischen Hilfsbereitschaft habe ich bereits geschildert: eine Frau mitten im Nirgendwo läuft nicht einfach vor einem Fremden weg, sondern sie bietet ihm Wasser an.

Leider weiss ich ihren Namen nicht; ich würde sie gerne namentlich nennen.

 

Stellvertretend für alle anderen möchte ich hier die Geschichte erzählen, die mir am Ende eines langen Wandertages widerfahren ist:

 

Das nächste Mal, dass ich in den (vollkommen unerwarteten) Genuss dieser Hilfsbereitschaft kam war in El Tiemblo.

Ich hatte bereits rund 35 Kilometer Fußmarsch hinter mir und freute mich auf eine Dusche und ein Abendessen.

Es begann zu regnen und ich hatte bereits alle möglichen Unterkünfte abgeklappert, ohne irgendwo unterzukommen. Die beiden Hostales waren geschlossen, die einzige Pension war ausgebucht.

Gleichfalls ausgebucht war das Hotel am Ort. Die letzte Chance auf ein Bett versprach ganz am Ende der Ausfallstraße ein großes modernes Gebäude, das sich ebenfalls mit Leuchtschrift als "Hotel" auswies.

Der Garten vor dem Haus war von einem hohen Gitter umgeben, die Pforte in diesem Zaun verschlossen. Aber es gab eine Klingel mit Kamera und Gegensprechanlage. Ich klingelte und nach einer Weile sprang das Tor summend auf.

Als ich näher kam, öffnete sich die Glastür am Eingang automatisch und ich konnte das Gebäude ebenerdig und ohne Stufen überwinden zu müssen betreten.

An der Rezeption war niemand. Also wartete ich. Nichts. Ich sah mich um und wunderte mich etwas über den eigenartig schweren Gruch, der in der Luft lag. Eine Mischung aus Kantinenluft, Mottenkugeln, Krankheit ließ mich stutzig werden. Durch die Glastür in einen Nebenraum konnte ich ein paar ältere Gäste sehen, die an kleinen Tischen saßen und auf etwas zu warten schienen. Ich fühlte mich unwohl und beschloss, doch noch einmal im Ort weiter zu suchen.

Als ich jedoch das Anwesen wieder verlassen wollte, ließ sich die Tür nicht mehr öffnen. Ich ging zurück ins Gebäude und rief nach Jemandem. Ein junger Mann in weissem Outfit kam einigermaßen verblüfft dreinschauend um die Ecke und fragte mich dann recht unwirsch, was ich denn hier wolle. Ich hatte mittlerweile begriffen, dass dieses Haus unter keinen Umständen ein normales Hotel sein konnte; trotzdem erklärte ich ihm, dass ich auf der Suche nach einem Zimmer sei. Er musterte mich von oben bis unten, abschätzig irgendwie, und klärte mich dann grinsend darüber auf, dass ich für dieses Altersheim hier noch etwas zu jung sei.

Dann ließ er mich wieder auf die Strasse, wünschte mir weiterhin viel Glück und verschwand kopfschüttelnd im "Hotel".

Ich wandte mich also wieder in Richtung Ort und passierte drei Häuser weiter eine Bar, die gerade geöffnet wurde. Ich erklärte dem Wirt meine verzweifelte Lage, woraufhin er mich in die Gaststube schob und mir einen Café spendierte. Er telefonierte kurz und nach zwei Minuten betrat ein junger Mann, den er als seinen Neffen vorstellte den Raum.

Ich musste meine Geschichte ein weiteres Mal erzählen und nachdem sich die beiden vor Lachen fast ausgeschüttet hatten, bot mir der Neffe an, mich ins knapp 50 Kilometer entfernte Ávila zu fahren.

Ich erwiderte, dass ich das unmöglich annehmen könne und beleidigte ihn damit aufs Tiefste. Nach einem weiteren Café und nachdem mir die Beiden meine aussichtslose Lage drastisch vor Augen geführt hatten, willigte ich ein und wir fuhren nach Ávila.

Mein Chauffeur war stolz darauf, einem verzweifelten Pilger aus Alemania helfen zu können; er wollte alles über meinen Weg wissen: warum ich ging, ob es das erste Mal sei, warum gerade in Spanien...

Im Flug waren wir in Ávila, wo er mich direkt vor der (laut Reiseführer gar nicht existierenden) Pilgerherberge absetzte.

Er wehrte sich vehement gegen die Euros, die ich ihm für seine Hilfe geben wollte, akzeptierte allerdings als Dankeschön eine kleine Muschel, die ich an meinem Rucksack befestigt hatte.

Isaac Martín Robledo aus El Tiemblo sei an dieser Stelle nochmals herzlich gedankt!

 

 

 


Weltkulturerbe Ávila
Weltkulturerbe Ávila