Veränderungen



Entwicklung, Veränderung oder Metamorphose?
Entwicklung, Veränderung oder Metamorphose?

Antonius, ich würde gerne noch etwas mehr über die "spirituellen" Erfahrungen sprechen, welche auf diesem Pilgerweg auf einen warten...

 

- Sie warten nicht auf Dich, sie sind einfach da!

 

Na gut, dann eben über die spirituellen Erfahrungen, die man als Pilger macht. Was passiert mit einem, wenn man den Camino de Santiago geht? Verändert man sich im Laufe der Tage und Wochen?

 

- Das ist mit Sicherheit so. Zwar kann man nicht sagen, dass jeder die selben Erfahrungen macht, oftmals gleichen sie sich aber . Und man kommt ganz sicher verändert an seinem Ziel an. Nicht unbedingt als ein Anderer, aber verändert.

 

Was hat sich bei Dir verändert? Wie hast Du Dich verändert?

 

- Zum einen -das war das Offensichtliche- sah ich am Ende meiner Reise anders aus. Ich hatte innerhalb dieser gut zwei Wochen satte acht Kilogramm abgenommen. Meine Körperhaltung war aufrechter, selbstbewusster. Klar, wenn Du so eine Strecke zurück gelegt hast, dann macht Dich das schon auch stolz...

 

Und sonst?

 

- Mein Blick war klarer geworden. Ich weiss nicht, wie ich das erklären soll: Ich meine, mein Blick nach aussen und nach innen war klarer geworden. Ich konnte plötzlich Dinge sehen, die mir vorher gar nicht aufgefallen sind. Oder nicht mehr aufgefallen sind.

Ich denke hierbei an die Schönheit der Natur, all die kleinen Dinge, Schmetterlinge, Blumen, das Spiel von Licht und Schatten, und so weiter.

Ich meine aber auch im Umgang mit den Mitmenschen. Wie schön wir Menschen sind, dass Schönheit sich nicht nur im Äusseren, sondern vor allem im Inneren zeigt.

Und ich habe mich selbst wieder sehen können.

 

Ist das so, alsob einem plötzlich ein Licht aufgeht?

 

- Na, bei mir war es eher so, dass ich dicke, über die Jahre immer dichtere Staubschichten eine um die andere wieder abgetragen habe. Es war also ganz schön Arbeit!

 

Hat Dir dabei jemand geholfen?

 

- Jedes Gespräch mit anderen Pilgern war dabei eine Hilfe! Im Grunde genommen bekommst Du jedoch nur das Werkzeug oder auch eine Arbeitsanleitung zur Verfügung gestellt. Die eigentliche Arbeit musst Du dann aber schon selbst machen, die kann Dir niemand abnehmen!

 

Hast Du irgendwelche aussergewöhnliche Begegnungen gehabt? Coellho und auch Kerkeling erzählen in ihren Büchern von solchen Begebenheiten...

 

- Dass mir riesige schwarze Hunde über den Weg gelaufen sind, die mir eine Botschaft zukommen ließen - mit solchen Begegnungen kann ich nicht aufwarten.

Aber "Zeichen" habe ich schon gesehen. Man ist jedoch auch viel offener für solche Dinge, deshalb nimmt man sie wahr. Ganz sicher gibt es diese Zeichen auch im Alltag - wir haben nur verlernt, sie zu sehen und als solche zu lesen

Und ich habe sehr intensive Träume gehabt.

 

Träumt man auf dem Jakobsweg denn intensiver oder anders?

 

- Normalerweise kann ich mich morgens nicht an meine Träume erinnern; bestenfalls daran, dass ich etwas geträumt habe.

Dort aber hatte ich so intensive Träume, dass ich sie manchmal sogar körperlich spüren konnte. Die Träume waren sehr farbig, die Personen und Gegenstände waren viel klarer.

Sie waren so realistisch, dass ich mich heute noch an sie erinnern kann, alsob es sich um wahre Begebenheiten aus meinem Leben handeln würde!

Und in manch einem Traum bekam ich eine Antwort auf Fragen, die ich hatte - die ich aber nie gestellt hatte. Oder eine Lösung für ein Problem, das ich vorher gar nicht als Problem artikulieren hätte können, obwohl es als solches durchaus existent war.

Verstehst Du, was ich meine?

 

...Teilweise - ich muss noch genauer darüber nachdenken.

Auf jeden Fall scheint es diese vielbesungenen "Zeichen" tatsächlich zu geben.

Ganz sicher aber gibt es diese gelben Pfeile, die einen, wenn man ihnen folgt, nach Santiago de Compostela führen. Sind die Markierungen unterwegs gut?

 

- Ja; den Camino Francés kann man theoretisch auch ohne Reiseführer gehen, so gut sind die Markierungen. Neben den allgegenwärtigen gelben Pfeilen gibt es auch noch die gelbe Jakobsmuschel auf blauem Grund oder, besonders im Baskenland und in Navarra, auch noch rot-weisse Hinweise.

 

Und schließlich, nach soundsovielen Kilometern, nach Wochen unter freiem Himmel, kommt man dann in Santiago de Compostela an.

Wie ist das, wenn man das Ende der Reise erreicht hat? Was geht da in einem vor?

 

- Den Camino Francés habe ich bereits in León beendet, also nach etwas mehr als 450 Kilometern. Ich hatte leider nicht genug Urlaub, um es bis nach Santiago zu schaffen.

In León nahm ich mir fest vor, den Rest des Weges im darauffolgenden Jahr zu gehen!

Das war 2006.

Erreicht habe ich Santiago allerdings erst 2008, und zwar nicht am Ende des Camino Francés, sondern am Ende der Via de la Plata...

 

...das ist ein anderer Pilgerweg, von Sevilla aus...

 

- ...genau.

Als ich damals kurz vor Santiago war, war ich mir plötzlich nicht mehr sicher, dass ich es wirklich erreichen wollte. Wenn man am Ende einer Reise angekommen ist, dann kann das sehr erfüllend sein. Es kann aber auch sein, dass man dieses Ende auf einmal als etwas ganz anderes erfährt, als etwas, was einer wunderbaren Zeit ein Ende setzt!

 

Und wie war das bei Dir?

 

- Santiago hat mir sehr gefallen; es war sehr interessant, teilweise auch faszinierend, wie unterschiedlich die vielen Pilger auf dem Platz vor der Kathedrale eintrafen. Manche sanken ergriffen zu Boden, manche brachen förmlich zusammen. Manche sahen furchtbar traurig aus, manche schrien ihre Freude -oder auch Erleichterung- heraus. Wildfremde Menschen fielen sich gegenseitig um den Hals, andere suchten sich lieber ein stille Ecke, wo sie mit sich allein sein konnten.

Ich persönlich war zufrieden, ja auch ein wenig stolz, dass ich es geschafft hatte; ich fühlte aber, dass mein Camino in Santiago noch nicht zu Ende war.

 

Bist Du noch ans "Ende der Welt" gegangen, nach Fisterra?

 

- Ja, nach zwei Tagen in Santiago wollte ich wieder unterwegs sein. Ich bin zuerst nach Finisterre gegangen. Als ich dort nach so vielen Wochen schließlich den ersten Blick auf den Atlantik werfen konnte -ganz unverhofft, nach einer Wegbiegung-, das war dann schon ein erhebender Moment! Auch der obligatorische Sonnenuntergang draussen am Leuchtturm von Finisterre war ein tolles Erlebnis!

Aber ich war immer noch nicht wirklich am Ende meiner Reise angekommen. Das spürte ich ganz deutlich!

 

Ja, und was macht man dann? Wenn man am "Ende der Welt" angekommen ist, und sich dieses Gefühl, am Ziel zu sein immer noch nicht einstellt?

 

- Ich ging noch einen Tag weiter Richtung Norden, nach Muxía.

Immer an der Küste entlang, mal mit größerem, mal mit kleinerem Abstand zum Meer. Aber auf jeden Fall das Meer immer im Blick. Es ist eine sehr schöne Etappe durch Weiden und Wälder.

 

Und in Muxía, nach dem Du Deine homepage benannt zu haben scheinst, da warst Du dann am Ziel angekommen?

 

- In Muxía, diesem kleinen Fischerdorf an der Atlantikküste fühlte ich mich wirklich am Ende meiner Reise angekommen. Dort hatte ich dieses Gefühl, das man hat, wenn man einen 1000 Seitenschmöker gelesen und schließlich den Buchdeckel zugeklappt hat:

Ein Gefühl von Wärme, ein bisschen vielleicht auch von Traurigkeit. Auf jeden Fall aber so ein undefinierbares Gefühl von Sehnsucht.

 

Sehnsucht? Wonach?

 

- Ja, Sehnsucht danach, wiederzukommen.

 

Und, bist Du noch einmal nach Muxía gekommen?

 

- Gleich im nächsten Jahr wieder, 2009. Als Abschluss meines Pilgerweges von Toledo aus, dem Camino de Levant.

 

Wird es ein weiteres Mal geben?

 

- Ganz sicher! Als nächstes möchte ich den Camino Mozárabe gehen - von Granada über Córdoba nach Mérida. Dort stoße ich dann wieder auf die Via de la Plata.

Und wo die für mich endet, das weisst Du ja...

 

...ja, in Muxía!