Antonius, Du stellst mit Deiner homepage www.muxia.de eine Seite ins Netz, die den Anspruch erhebt, für "Pilger und solche, die unterwegs sind" da zu sein.
Warum?
- Es gibt immer mehr Menschen, die sich mit dem Thema Pilgern beschäftigen. Und viele dieser Menschen wollen sich selbst auf den Weg machen. Diesen Leuten möchte ich Hilfestellung geben.
Aber, gibt es denn nicht schon genug homepages, Bücher, Publikationen oder Fernsehsendungen zu diesem Thema? Es wurde sogar ein Kinofilm gedreht, welcher auf dem Jakobsweg spielt.
- Stimmt, es gibt inzwischen wirklich schon sehr viele Informationen. Gerade in letzter Zeit - besonders nachdem Hape Kerkeling sein Buch "Ich bin dann mal weg" mit so großem Erfolg auf den Markt gebracht hat. Aber trotzdem denke ich, dass es nie zu viele Informationen geben kann.
Hast Du Kerkeling's Buch auch gelesen?
- Ja, ich habe es verschlungen! Es war für mich eine außergewöhnliche Informationsquelle.
Aber es war nicht das einzige Buch, das ich vor meinem Camino gelesen habe. Ich habe auch noch Bücher anderer Autoren gelesen, wie z.B. Shirley McLaine oder Paulo Coellho.
Und? Haben Dir diese Bücher in irgendeiner Form geholfen? Haben sie Dir etwas gebracht?
- Sicher! Wobei ich sagen muss, dass mir McLaine's Buch zu -wie soll ich sagen- "flowerpowerish" war. Ich konnte damit nicht viel anfangen. Auch Coellho's "Auf dem Jakobsweg" war mir nach etwa 100 Seiten zu viel. Die Betonung dieser Bücher liegt meines Erachtens zu stark auf den -in meinen Augen- pseudospirituellen Erfahrungen des Jakobsweges.
Wie meinst Du das?
- Für mein Empfinden stellen diese beiden Autoren ihre Erfahrungen auf dem Camino wie einen ausgedehnten Psychotrip dar; wie einen langen Drogenrausch. Und damit konnte ich nicht wirklich etwas anfangen.
Ausserdem erfuhr ich später, dass Coellho erst Jahre nach Erscheinen seines Buches den Camino tatsächlich gegangen ist - zumindest hat er sich dann dort an verschiedenen Stellen fotografieren lassen...
Gut, Du denkst also, dass Deine Erfahrungen anderen Leuten mehr helfen können?
- Das weiss ich nicht, das möchte ich mir auch nicht anmaßen. Zumindest aber denke ich, dass die Beschreibung meiner Erfahrungen etwas nüchterner ausfällt. Was tatsächlich auf diesem Weg mit dem einzelnen Pilger passiert - das ist eine ganz individuelle Geschichte. Manch einem mag es tatsächlich wie ein Rausch vorkommen...
Du meinst, jeder empfindet solch eine Pilgerreise auf seine ganz eigene Art und Weise.
- Genau! Das ist wie überall: Was mir gefällt, stößt Dich vielleicht ab. Was mir wichtig ist, interessiert Dich vielleicht überhaupt nicht. Und so weiter.
Dann lass' uns doch einmal den Begriff "Pilgern" definieren. Zumindest darüber sollten sich die Gelehrten einig sein, oder?!
-Ja und nein! Im eigentlichen Sinne ist Pilgern eine zutiefst religiöse Angelegenheit. Dabei spielt es keine Rolle, ob im Christentum, im Islam oder in einer anderen Religion. Man macht sich auf eine Reise zu einem "geheilgten" Ziel, um entweder auf dem Weg dorthin Buße zu tun oder dann am Ziel Vergebung für etwas zu erhalten.Das Christentum kennt viele Pilgerziele - Jerusalem, Rom oder eben Santiago de Compostela sind lediglich die drei wichtigsten. Das wichtigste Pilgerziel des Islam ist Mekka, das jeder Moslem im Laufe seines Lebens mindestens einmal besucht haben sollte.
Und im anderen Sinne?
- Wie so vieles, was ursprünglich eine religiöse Bedeutung hatte, so ist auch das Pilgern im Laufe der Zeit mehr und mehr verweltlicht worden. Über die Pilger nach Mekka kann ich nicht sprechen, dort war ich nicht. Aber die Menschen, welche mir auf meinen Pilgerwegen in Spanien begegnet sind, hatten in der Mehrzahl keine religiöse Motivation, sich aufzumachen.
Sondern?
- Ich bin sicher, dass die meisten Pilger zu allererst auf der Suche nach sich selbst waren. Bestimmt hat eine ganze Menge davon auf dem Weg eine religiöse Dimension erfahren können - vielleicht sollte ich besser sagen: Eine spirituelle Dimension- aber Religion als Triebfeder schließe ich bei den meisten Leuten aus.
Welche Motivation hattest Du?
- Ich hatte ebenfalls keine religiöse Motivation. Ich wollte mich selbst finden.
Hattest Du Dich denn verloren?
- Ja! Oder besser gesagt: Ich hatte mich weggegeben. Oder auch: Ich wusste nicht mehr, wer ich war; ich erkannte mich im Spiegel nicht mehr!
Du warst Dir selbst fremd?
- Ich hatte noch eine ungefähre Ahnung davon, wie ich war. Was ich war, wer ich war.
Und ich wusste, dass ich das nicht mehr war. Und dass ich es wieder sein wollte!
Was meinst Du? Du warst nicht mehr Du, und erhofftest dir von einem Pilgerweg die Lösung dieses Problems?
- Nicht nur. Ich war in einem Kreis gefangen, aus welchem ich ausbrechen wollte. Ich war gefangen in Konsumdenken, Prestigedenken. Ich definierte mich über Besitz und Status.
Erfolg zu haben, Geld war ungeheuer wichtig für mich. Darüber hatte ich mich selbst verloren, hatte vergessen, was wirklich wichtig ist.
Und das erhoffte ich mir, auf dem Camino wieder zu finden.
Und was war -ist- Dir so wichtig?
- Ich wollte das Leben wieder pur spüren. Und das geht meines Erachtens nur, wenn man bescheiden, ich möchte sogar sagen: Demütig ist. Wenn man jeden Tag so nimmt, wie er ist - und dafür dankbar ist. Ausserdem ist es mir wichtig, Begriffe wie: Vertrauen und Nächstenliebe wieder zu erfahren, sie mit Leben zu füllen.
Und, hast Du diese -doch recht hoch gesteckten- Ziele erreichen können?
- Unbedingt! Ich habe auf dem Jakobsweg wieder zu mir selbst gefunden.
Hatte das dann auch Konsequenzen für Dein Leben nach dem Camino?
- Der Camino hat mein Leben total auf den Kopf gestellt! Nichts ist mehr, wie es vorher war!
Ich habe durch diese Erfahrung die Kraft gefunden, aus dem Kreis auszubrechen.
Was bedeutet das im Einzelnen?
- Nachdem ich aus Spanien zurück gekehrt war, mistete ich als erstes meinen Kleiderschrank aus. Danach die Bücherregale und die Schubladen. Und wenn ich "ausmisten" sage, dann meine ich damit absolutes und konsequentes Wegwerfen oder Hergeben von allem, was ich für das tägliche Leben nicht unbedingt brauchte.
Danach "entstaubte" ich meine Ehe. Und was ich unter der Staubschicht von mehr als 10 Jahren fand, passte nicht mehr zu mir. Also gab ich es auf.
Du hast Deine Ehefrau verlassen?
- Sie hat mich rausgeworfen. Und ich habe nichts dagegen unternommen. Ich bin gegangen.
Hm! Unser Gepräch hat sich inzwischen in eine etwas unerwartete Richtung entwickelt....
- ...stört Dich das?
Nein, nein! Aber ich wollte eigentlich etwas mehr über das Pilgern an sich erfahren. Und im Speziellen über das Pilgern in Spanien.
Warum Pilgern in Spanien? Ich meine: Klar, der Camino Francés als der Pilgerweg schlechthin führt nun einmal durch Nordspanien. Aber: Kann man nicht auch in anderen Gegenden pilgern?
- Natürlich! Pilgern kann man überall. Es muss nicht in Spanien sein - Pilgerwege gibt es auf der ganzen Welt. Ausserdem kann man jeden Weg zu einem Pilgerweg machen.
Was das Pilgern in Spanien für mich so reizvoll macht, das sind verschiedene Dinge: Zum einen liebe ich die spanische Sprache sehr. Zum anderen sind die Landschaften, die man dort durchwandert einzigartig! Dieser unendliche Horizont in der Meseta, das Spiel von Licht und Schatten auf endlosen Feldern! Ich fühle mich dort geborgen in all der Unendlichkeit.
Das klingt nun aber doch ein bisschen der Welt entrückt...
- ...ja, so fühle ich mich dort ja auch. Einerseits bin ich mittendrin, andererseits habe ich dort den nötigen Abstand, um genau zu sehen.
Ich empfinde Zeit nicht mehr als etwas Bedrohliches, sondern als etwas Unerschöpfliches. Zeit ist dort in den Weiten Zentralspaniens etwas zugleich Riesiges und Unbedeutendes. Ich kann die Zeit dort spüren, sie umgibt mich wie ein Mantel. Und ich fühle mich nicht nur als einen Teil der Zeit -was an sich ja schon etwas Erhabenes ist-, sondern ich spüre, dass ich selbst Zeit bin.